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Es geschah in der Neujahrsnacht 1985. Das Silvesterfeuerwerk von 1984 war längst verstummt, als ich ungefähr um 3 Uhr morgens, noch einmal durch den Garten streifte, um nach Feuerwerks- Blindgängern zu suchen. Das Feuerwerk der vergangenen Nacht war von Irchwitz aus wieder besonders schön zu sehen gewesen. Es war eine glasklare, eiskalte Nacht. Der Mond schien und beleuchtete leicht den Garten und das heutige, vorm Haus befindliche Feld, welches damals noch die "Annawiese" war. Es lag reichlich Schnee, auf dem sich Dank des Mondes die abgebrannten Feuerwerkskörper sehr gut abzeichneten. Während meiner Suche schaute ich auch hinaus auf die Wiese, schließlich konnte auch dort etwas liegen, was für mich verwertbar sein könnte. Es herrschte eine beispiellose Stille. Die letzten Zecher der großen Silvesterparty in der Turnhalle waren längst singend vorbeigezogen. Als ich meinen Blick über die verschneite Annawiese schweifen ließ, glaubte ich zunächst meinen Augen nicht zu trauen. "Hatte sich da nicht gerade etwas bewegt?" Es schien alles ruhig. Da war es plötzlich wieder. Kraftlos ragte ein Arm aus dem Schnee und fiel wieder nach unten. Ich rief: "Hallo, ist da jemand?" Keine Antwort. Merkwürdig. Da war der Arm wieder. Irgendwie war die gesamte Situation recht gruselig. Sollte ich hinausgehen und nachsehen? Die Neugierde siegte schließlich gegen die Angst. Ich rannte auf die schneebedeckte Wiese. Tatsächlich, da lag ein Mann hilflos im Schnee! "Hilfe!" sagte er, halb nuschelnd und halb lallend. Seine Stimme war kaum zu vernehmen. Er brabbelte noch einige kaum vernehmbare Wortfetzen. Mit viel Fantasie konnte man so etwas wie "Turnhalle" und "zuviel Sekt" verstehen. Ich versuchte ihn aufzurichten. Mit viel Mühe konnte ich ihn zum Sitzen bringen. Er war total unterkühlt. Ich überlegte was ich tun könnte. Wenn ich ihn liegen lasse und Hilfe hole, dauert es ewig bis die Hilfe da ist, vielleicht ist er ja bis dahin erfroren? Das wollte ich nicht riskieren. So zerrte ich ihn immer nach oben und redete mit ihm. Wenigstens bewegte er sich. Immer wieder versuchte ich ihn auf die Beine zu bringen. Das ewige Gezerre führte schließlich dazu, dass er ein wenig munterer wurde. Mit ein wenig Abstützen gelang es mir sogar schließlich, ihn auf den Beinen zu halten. "Bring mich nach Hause!" lallte er. Ich fragte, wohin ich ihn den bringen soll. Er zeigte nach unten, Richtung Raunerstraße. Während wir uns schleppend fortbewegten, fragte ich ihn immer wieder nach der Adresse. Sagen konnte er die Adresse zwar nicht, aber er deutete mir an, dass er den Weg wohl finden würde, wenn ich ihn bis dahin stützen könnte. Wir liefen über die Annawiese zum Birkenacker. Dort gab es damals noch einen kleinen Verbindungsweg hinunter zur Raunerstraße. Das Schleppen des Mannes war unheimlich anstrengend, die Hilfe wollte ich ihm aber auch nicht verwehren und so kamen wir endlich auf der Raunerstraße an. Er wollte aber noch weiter, zeigte Richtung Franz- Feustel- Straße. So schleppte ich ihn heftig torkelnd am "Pavillion" vorbei. Tatsächlich fand er den richtigen Hauseingang. Der schwerste Teil kam nun erst mit dem Erklimmen der Treppen. Natürlich wohnte er auch noch ganz oben! Er gab mir den Wohnungsschlüssel,da er zum Öffnen der Wohnungstür nicht in der Lage war. Als die Tür offen war bedankte er sich vielmals und krabbelte auf allen Vieren in seine Wohnung.
So begann das Jahr 1985 für mich mit einer guten Tat.
Noch heute frage ich mich, ob ich dem Mann damals das Leben gerettet habe oder ob ihn später noch jemand gefunden hätte. |
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