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Zerstörung von Horlbecks Lokal

Wer am Ende der Irchwitzer Straße in der Nähe des Teichplatzes das ebenerdi­ge Spar-Geschäft von Hartmut Korn betritt, wird nicht ahnen können, dass dort ein zweistöckiges Gebäude bis Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem Grundstück Irchwitzer Straße 103 stand. Es war „Horlbecks Lokal" mit einer Fleischerei, das als Geschäfts- und Wohnhaus, bewohnt von sieben Familien, vor der Einnahme der Stadt durch die US-Armee in der Nacht vom 16. zum 17. April 1945 zerstört wurde.
Im letzten Kriegsjahr läutete der Beginn des Monats April die „Endphase des Krieges" für unser Heimatgebiet ein.
Alle sich in Greiz aufhaltenden Wehr­machtsurlauber mussten sich auf dem Wehrmeldeamt einfinden, um in die Ver­teidigungslinie der 7. Armee an der Weißen Elster unter Führung von Oberst Freiherrn von Lützow eingereiht zu wer­den. Die Männer des Volkssturms bud­delten in den Wäldern und hatten einen Verteidigungsring anzulegen. „Wegen ständiger Luftgefahr" wurden alle Besu­che im Landeskrankenhaus verboten. NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Sauckel rief die Thüringer auf: „Haltet unerschütterlich zu Führer und Reich!", verließ aber rechtzeitig die Landes­hauptstadt Weimar, floh auf die Koppe bei Hermsdorf - Klosterlausnitz und tauchte am Montag, 16. April, in Greiz auf, wo er mit NSDAP-Kreisleiter Schau zusammentraf, der als „Hoheitsträger des Kreises" der Vorsitzende eines Standgerichts geworden war und die Erschießung des Hauptmanns von Westernhagen zu verantworten hatte. Die Bevölkerung wurde in der Horlbecks Lokal 1931Tages­zeitung „Greizer Kurier" aufgefordert, als „Vorgriff nach Belieben des Ver­brauchers" die zugeteilten Lebensmittel auf Karten im voraus zu kaufen, und belehrt, dass ein fünf Minuten langer Heulton der Sirenen oder bei Stromaus­fall das Läuten der Kirchenglocken „die Annäherung von Feindgruppen" ankün­digen würde. Nach Einstellung des Eisenbahnverkehrs am Freitag, 13. April, wurden viele Brücken gesprengt. Der Kampfkommandant, ein 24jähriger Oberleutnant, gebürtiger Greizer und Abiturient des Jahrgangs 1940 der Bis-marckschule, war entschlossen, mit Sol­daten, Volkssturmmännern und Hitler­jungen die Stadt „bis zum letzten Mann" zu verteidigen. Verwundete Soldaten in den Reservelazaretten erhielten den Marschbefehl ins Erzgebirge.
Am Montag, 16. April, heulten um 15.00 Uhr die Sirenen. Die Bevölkerung zog sich in die Wohnungen und Luftschutz­keller zurück. Das Wehrmachtskom­mando „Elsterabschnitt VII Süd" und die Verantwortlichen des Volkssturms hat­ten sich abgesetzt. In der Gaststätte „Bergfrieden" auf dem Reißberg fanden sich Gauleiter Sauckel und Kreisleiter Schau ein und verschwanden bald „im Dunkel der Nacht". Amerikanische Auf­klärungsflugzeuge kreisten über der Stadt und stellten Truppenbewegungen von der Innenstadt über die Irchwitzer Höhen in Richtung Kahmer fest. Gegen 22.00 Uhr wollte der Greizer Kampf­kommandant, der unbedingt die Altstadt zu halten gedachte, die Lage in der Neu­stadt erkunden und wurde dabei erschos­sen. Kurz danach setzte heftiges Artille­riefeuer ein. Die Amerikaner schossen aus dem Gebiet zwischen Gommla und Kurtschau in die Stadt und auf umlie­gende Höhen. Da sich laut Augenzeu­genberichten am Irchwitzer Teichplatz über 50 Soldaten und russische Hilfs­willige, die in der deutschen Wehrmacht kämpften, mit vier Schützenpanzerwa­gen eingefunden hatten, um sich Richtung Erzgebirge abzusetzen, beschoss amerikanische Artillerie den Ortsteil und traf einige Häuser am Ende der Irchwitzer Straße, am Teichplatz und am Zie­ger, wobei das Haus Irchwitzer Straße 103 zerstört wurde.
Frau Ruth Lubjuhn geborene Frühauf, damals Bewohnerin dieses Hauses, berichtet darüber: „Wir, Frauen, Senioren und Kinder, saßen auf Grund des ver­kündeten 'Feindalarms' im Bierkeller und zuckten beim Einschlagen der Gra­naten zusammen. Über uns brannte das Haus lichterloh und fiel nach und nach in sich zusammen. Vor dem Mund hielten wir nasse Tücher, doch dabei konnten wir dem Staubschlucken nicht entgehen. So hockten wir ängstlich in dem Gewölbe, dem wir bis dahin unser Leben zu ver­danken hatten. Infolge der Kriegswirren konnte keine Feuerwehr löschen helfen. Als gegen Morgen des 17. Aprils, eines Dienstags, die erste Etage vollständig ausbrannte, mussten wir flüchten. Jeder rannte in eine andere Richtung und konn­te nur ein Täschchen mit den wichtigsten Papieren mitnehmen." Die von den Nazis viel gepriesene „Volks- und Kampfge­meinschaft" erwies sich oftmals als Phra­se und Lüge: „Als einige Bewohner unse­res zerstörten Gebäudes im Nebenhaus Rettung suchen wollten, wurde gerufen, hier sei Sauerstoffmangel und sie seien schon genug im Luftschutzkeller. Als Flüchtende in Richtung Zieger liefen, hörten sie Männerstimmen: „Bei denen brennt's und die reißen aus." Frau Weid­lich, Besitzerin des Wohnhauses Irchwit­zer Straße 97 und Witwe, stellte uns hilfs­bereit sofort ein Kämmerchen mit zwei Betten und Küchenbenutzung zur Verfü­gung, so dass ich, im siebenten Monat schwanger, später dort meine älteste Tochter zur Welt bringen konnte. Ande­re Hausbewohner konnten vorläufig im Der ausgebombte Horlbecks Gasthof IrchwitzGasthof „Zum Goldenen Löwen" unter­gebracht werden.
Bevor gegen Mittag des 17. Aprils etwa 150 amerikanische Soldaten mit einigen Jeeps, Sherman-Panzern und Lastkraftwagen, aus der Stadt kommend, in Richtung Reinsdorf zogen, ging mein Vater am Morgen nochmals zur Brand­stätte und fand auf der Kellertreppe sit­zend eine verzweifelte alte Mitbewoh­nerin, um die sich niemand gekümmert hatte. Als er sie in den Hof brachte, ent­kamen sie knapp dem Tode. Eine immer noch einschlagende Granate erzeugte so viel Druck, dass beide gegen das Hoftor geschleudert wurden. Erst am Mittwoch, 18. April, konnten sich zwei Hausbe­wohner mit Schutzmasken umschauen. Vorher ließ es die gewaltige Hitze nicht zu. Federkissen zerfielen beim Anfassen zu Staub, ein Brot war in einer Büchse zu einem schwarzen Klumpen zusammengeschmolzen. Lediglich die kleine Räucherkammer der Fleischerei hatte standgehalten. Da Fleischermeister Horlbeck zur Wehrmacht eingezogen worden war und die Kammer leer stand, hatte die Hauswirtin dort ein paar Klei­der untergebracht, von denen sie noch etwas tragen konnte. Als Tage danach die Hauswirtin beim Fleischer am Teich­platz mit einem Kleid aus der Räucher­kammer stand sagten Dabeistehende: „Die wollen alles verloren haben! Das Kleid kennen wir doch." Leider gäbe es noch viel Unschönes zu berichten, doch mit der Zeit verdrängt man hässliche Erinnerungen an das Leben im Krieg und unmittelbar danach wie beispielsweise das Wohnen in einer Notunterkunft, wo acht Personen in vier kleinen Räumen untergebracht waren, das fortwährende Hungern und das Frieren in den Winter­monaten, das Ährenauflesen und Kar­toffelstoppeln auf den Feldern oder das Aufsammeln dürrer Äste in den Wäldern als Brennmaterial.
Doch über allem standen Glück und Dankbarkeit, die schlimme Zeit des Nationalsozialismus trotz des Verlustes von Hab und Gut einigermaßen gesund überlebt zu haben und im Frieden am Aufbau einer demokratischen Ordnung mithelfen zu können.

- nach Rudolf Söllner -

Quellen:
- Greizer Kurier. 1.-14. April 1945
- Fritz Franz: Als die Amerikaner nach Greiz kamen und wieder gingen. In: Greizer Sonntagspost Nr. 57, Sep­tember 1985
Bericht von Frau Ruth Lubjuhn geb. Frühauf, Greiz, damals Irchwitzer Straße 103, heute Mönchsweg 12, vom 25.06.2000


 
Kommentare (1)
Gerhard Arzberger aus Erfurt schrieb: (2012-06-24 12:14:01)
Als 13 jähriger Junge war iich ein Zeitzeuge, als am 17.April 1945 im Verlaufe des vormittgs, 3 Shermann Panzer, wahrscheinlich ein Aufklärungstrupp der US-Army,der vom Teichplatz bis zum Bauchs Gut kam, ich stand da, neugierig und beobachtete die Handlungen der amerikanischen Aufklärer. Überall waren an den Häusern weiße Bettlaken gezeigt, als Hinweis der Waffenruhe. Nach kurzer topographischer Orientierung des wahrscheinlichen Kommandanten, setzte sich der Aufklärungstrupp nach rechts, vorbei am Spritzenhaus in die Reinsdorfer Straße, vorbei am Gasthof "Goldener Löwe" in Bewegung.