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Kapitel 9 - Revierreinigung Nachdem ich die verrückte Aktion geistig halbwegs verarbeitet habe, sammle ich meine eigenen Sachen vom Boden auf und lege sie aufs Bett. Nun ist alles komplett durcheinander. Wie soll ich das bloß wieder in Ordnung bringen? Vorsichtig versuche ich die lange Unterwäsche so zusammenzulegen, dass Kante auf Kante liegt. Ein scheinbar sinnloses Unterfangen, ich schaffe das einfach nicht. Nach weiteren erfolglosen Versuchen möchte ich die Flinte am liebsten ins Korn werfen. Das hat doch alles keinen Sinn! Meinen Zimmerkameraden geht es scheinbar ähnlich. Für den richtigen Umgang mit Textilien scheint hier keiner geeignet zu sein. Plötzlich fällt mir die Sache mit dem Stubenältesten wieder ein. "Wer macht denn nun den Stubenältesten?" frage ich in die Runde, in der Hoffnung, dass die Wahl nicht auf mich fällt. Vier ratlose Gesichter sehen sich gegenseitig an. Freiwillig will es wohl keiner machen. "Logischerweise müsste es wohl der Älteste von uns tun, es heißt ja schließlich auch 'Stubenältester'!" fahre ich fort. Die anderen Drei nicken zustimmend und meine Hoffnung nicht zum Stubenältesten gemacht zu werden steigt, weil mindestens zwei der Zimmerkameraden scheinbar älter sind als ich. "Also, Alter auf den Tisch, notfalls schauen wir in den Wehrdienstausweis, dass keiner schummelt!" "Also ich bin Neunzehn!" beginne ich den Altersvergleich. "Auch Neunzehn" sagt mein Nebenmann, den ich auch so eingeschätzt hatte. "Zweiundzwanzig" sagt der dünne Drahtige mir gegenüber. "Mist, Vierundzwanzig!" den dicken Maik hat es erwischt! Die anderen atmen auf. "Was soll ich nun tun?" Er ist über das schnelle Wahlergebnis alles andere als glücklich. "Einfach 'Achtung' rufen wenn einer von den Typen reinkommt, so schwer ist das nicht!" Der dicke Maik gibt sich geschlagen. Einer muss es ja tun! Kaum ist der Stubenälteste gewählt, springt auch schon wieder die Tür auf. Wie von der Tarantel gestochen springt Maik auf und schreit "Achtung!" Herein kommt aber nur der freundliche Unteroffizier Ralf. "Ist schon gut Leute!" sagt er mit lächelnder Miene "Bei mir braucht Ihr so einen Ziehauf nicht zu veranstalten! Ehrlich gesagt bin ich ja selber noch ein Neuling, frisch von der Unteroffiziersschule Bad Düben." Er schaut sich im Zimmer um. "Oh, hat hier ein Orkan gewütet?" Er zeigt auf die leeren Spinde. "Aha, da hat Euer Zugführer ja ganze Arbeit geleistet! Macht Euch nichts draus, das gehört dazu! Er hätte sicher auch alles rausgeschmissen wenn es perfekt gewesen wäre. Da müsst ihr Euch in Zukunft dran gewöhnen, denn das wird wohl während Eurer Grundausbildung noch öfter passieren. Naja und dann das erste halbe Jahr, bis die Neuen kommen..." alle starren erwartungsvoll auf ihn. Man merkt es ihm an, eigentlich hat er schon viel zu viel geredet. "Ihr werdet das schon alles noch mitkriegen, bis jetzt hat’s jeder gelernt! So, jetzt kümmert Euch erst einmal um die Spinde, ich zeig es Euch noch mal kurz!" Wieder legt er sorgsam Kante auf Kante. Bei ihm sieht es so einfach aus, warum schaffe ich das nicht? Als er wieder gehen will, lasse ich mir noch einmal die Sache mit dem Bettlaken zeigen. Die merkwürdige Falttechnik ist mir suspekt, allerdings würde dadurch das Laken nicht verrutschen. Ich glaube ihm, was soll ich auch sonst tun? Als Unteroffizier Ralf verschwunden ist, versuche ich es noch einmal. Irgendwie muss das doch funktionieren mit dem Zusammenlegen. Nach einer weiteren halben Stunde Falttechniklehrgang sehen die Ergebnisse sogar schon ganz manierlich aus. An Ralfs Supertechnik kommt es zwar noch nicht heran, aber für den ersten Tag bin ich schon fast ein wenig stolz auf mich. Als der Spind wieder gefüllt ist, stehe ich ein wenig selbstgefällig davor. So müsste Zuhause mein Schrank mal aussehen! Wahrscheinlich würde doppelt soviel hineinpassen! Ich zupfe noch einige Falten und Dellen weg und richte die Schuhe und Stiefel exakt an der Kante aus. Nur das Sturmgepäck auf dem Spind, auf welchem der Stahlhelm befestigt ist, sieht noch etwas unordentlich aus. Da hilft alles zupfen nichts, zum ordentlich Ausrichten ist es einfach nicht geeignet. Noch einmal stelle ich mich vor den Spind und betrachte ihn im Gesamten. Wow, so etwas Ordentliches habe ich ja überhaupt noch nicht zustande gebracht. Gern würde ich mir jetzt auf die Schulter klopfen, aber ich darf ja aus irgendeinem Grund die Schulterstücke nicht deformieren. Ich schließe den Spind und kümmere mich erst mal um das Bett. Noch sieht es aus, als hätte gerade jemand drauf gelegen. Ich lege die Matratze hoch und versuche mit dem Bettlaken Ralfs Falttechnik unter der Matratze nachzuahmen. So richtig gelingt es mir nicht, aber wer wird schon unter die Matratze schauen? Kissen und Zudecke gelingen beim Zusammenlegen schon eher. Die Kunst ist scheinbar am Ende das Glattstreichen. Ein paar mal mit der Hand über die blauen Karos und das Bett befindet sich in tadellosem Zustand. Naja, was heißt tadellos, aber für jemanden, der bisher sein Bettzeug zusammenrollte und in den Bettkasten stopfte, sieht es schon recht manierlich aus. Kaum haben wir uns für einige Minuten an den Tisch gesetzt um unsere Sorgen und Nöte auszudiskutieren und uns überhaupt ein wenig kennen zu lernen, springt wieder die Türe auf und der Zugführer mit seinen Helfershelfern steht erneut ohne zu klopfen im Zimmer. Erschrocken, aber diensteifrig steht der dicke Maik plötzlich stramm und schreit "Achtung!" Eigentlich unnötig, denn vor Schreck stehen wir sowieso schon kerzengerade neben unseren Schemeln. "So, liebe Genossen Soldaten, schauen wir doch mal, was Sie über die Ordnung in Ihren Spinden bereits gelernt haben." Erneut lässt er sich die Spindtüren öffnen und fingert mit seinen weißen Handschuhen zwischen den Kleidungsstücken herum. "Nun ja, ich muss sagen, so richtig ordentlich sieht das Ganze ja noch nicht aus, aber ich erkenne doch gewisse Fortschritte und Bemühungen in Ihrem Handeln." Er schreitet von Spind zu Spind. Sein gockelhaftes Verhalten soll beeindrucken, wirkt aber nahezu lächerlich. Zu Lachen traut sich selbstverständlich keiner, außerdem rettet die würdevolle Uniform die Gesamterscheinung. Als er alle Spinde kontrolliert hat, stellt er sich breitschultrig vor die Tür. Ihre Ausbilder werden sie nun mit der Sauberkeit in ihrem Zimmer vertraut machen. Als er das Zimmer verlässt, bleiben zwei Unteroffiziere der unangenehmeren Art im Zimmer zurück. Einer reißt die Spindtür eines Spindes auf, welcher nur halb so breit wie die anderen Spinde. "Das ist Euer Besenschrank!" Er deutet auf den Inhalt: "Schaut genau hin, das sind ab jetzt Eure besten Kameraden. Besonders zur Bohnerkeule werdet ihr ein inniges Verhältnis aufbauen!" Da war er wieder, der Zynismus gepaart mit dem widerliche Grinsen. "Wenn Ihr alle Gegenstände, vom Fensterstock bis zum Gitterbett gereinigt habt, dürft ihr den Boden kehren, wischen und anschließend Bohnern. Ich zeig Euch das mal kurz!" Er holt aus dem Besenspind einen alten Schrubber, welcher voller dunkler, rotbrauner Paste geschmiert ist. "Mit diesem Schrubber verteilt ihr den Bohnerwachs. Die Pappeimer mit dem Bohnerwachs bekommt Ihr später noch! Wenn der Bohnerwachs halbwegs verteilt und angetrocknet ist, nehmt Ihr die Bohnerkeule..." Er hebt einen schweren Metallblock mit Stiel aus dem Spind. "...und poliert damit den Boden!" Solch ein merkwürdiges Gerät habe ich noch nie gesehen. An der Unterseite des Metallblocks befinden sich kurze harte Borsten. Der Stiel ist mit einem Gelenk versehen. "Die Bohnerkeule wird gleichmäßig hin und her bewegt. Ihr werdet dies noch bis zur Perfektionierung üben können, seht es am Besten als Euer zukünftiges Hobby, denn zu etwas anderem werdet Ihr sowieso nicht mehr kommen. Wer mit der Keule zu viel Schwung hat und am Rand irgendwo aneckt beginnt von vorn. Auf dem Gang wird das ganz besonders interessant!" Wieder grinst er schäbig. "Schaut her, so muss das gehen: Klick, Klack, immer hin und her! Macht doch Spaß - oder?" Keiner von uns kann erkennen wo der Spaß sich wohl versteckt hat. Der Einzige der augenscheinlich Spaß hat, ist wohl er selbst! "So, theoretisch wisst Ihr bescheid, also fangt an! Nachher wird kontrolliert!" Er verlässt das Zimmer und wieder stehen wir etwas ratlos herum. "Maik, du bist der Stubenälteste, also teile ein!" Jetzt schaut Maik noch unglücklicher aus der Wäsche. "Ich soll...?" fragt er "Ja klar, wer denn sonst." "Na gut, sagt er, dann erst mal alles abwischen!" Einer flitzt gleich los und holt einen Eimer Wasser aus dem Waschraum. Großes Putzen ist nun angesagt. Jeder auch noch so abgelegene Winkel des Zimmers wird von Schmutz befeit. Zumindest würde man Schmutz entfernen können, wenn welcher vorhanden wäre. Wie es aussieht wurde schon lange vor unserer Ankunft eine ordentliche Reinigung durchgeführt. Trotzdem wird alles noch einmal sauber gewischt, man weiß ja nie, ob nicht irgendwo versteckter Schmutz liegt. Zuhause legte unsere Mieterin, Frau Meckert, auch immer Fusseln ins Treppenhaus, um zu prüfen ob die Hausordnung von den anderen Mietern erledigt wurde. Nun ist noch der Boden dran. Erst kehren, wischen und den großen Pappeimer mit Bohnerwachs aus dem Nachbarzimmer holen. Das Verteilen des Bohnerwachses mit dem Schrubber ist eine riesige Schweinerei, klappt aber ausgezeichnet. Jetzt noch mit der seltsamen Bohnerkeule drüber rutschen. Links, rechts, klick klack. Geht ja schon mal ganz gut, wenn man einmal in Schwung ist! Kurz darauf bekommt die Keule zu viel Schwung und donnert gegen einen Spind. Wir grinsen uns gegenseitig an. Hat keiner gehört, weiter! Der braune Linoleumboden glänzt jetzt wie eine Speckschwarte. leider sieht man jetzt aber jeden Schritt den man macht. Nach dem Aufräumen der letzten Gerätschaften sieht das Zimmer picobello sauber aus. Grund genug sich wieder an den Tisch zu setzen. Zu gern würde ich endlich einen Brief schreiben, aber es lohnt sich kaum damit anzufangen, denn jeden Augenblick könnte wieder die Tür aufgehen und jemand kommt hereinmarschiert. Die anderen wollen gern Karten spielen, trauen sich aber nicht. Zum Glück, denn beim Skat kann ich ihnen sowieso nicht beistehen. Ich kann das Spiel nicht. Tatsächlich dauert es bloß wenige Minuten bis die Tür aufgerissen wird, der Zugführer im Zimmer steht und der dicke Maik "Achtung!" ruft. Während wir noch stillstehen, stolziert der Zugführer durchs Zimmer. "So so, Sie haben also ihre Unterkunft gesäubert und fertig sind sie auch schon...! Heißt das jetzt gut oder schlecht? "Nun, dann möchte ich doch gern mal prüfen wie sauber ihr Zimmer tatsächlich ist!" Er fährt mit seinen weißen Handschuhen über jede Fläche und betrachtet hinterher seine Finger und sagt gar nichts. Zum Schluss fährt er mit der Hand über die Spinde. Ärgerlich schaut er auf die Handfläche, welche er jetzt dem dicken Maik vors Gesicht hält und kräftig pustet. "Können Sie mich noch sehen?" der dicke Maik ist so verdutzt, dass er auf die Frage gar nicht antwortet. Ich schaue mir die Finger des Zugführers genau an. Reste von Staub kann ich nicht erkennen. Dem Zugführer ist es egal, er muss irgendetwas finden. "Wenn Sie denken, Sie müssen nur die offensichtlichen Stellen ihres Zimmers reinigen, dann liegen Sie ganz falsch! Bringen Sie das noch vor dem Abendbrot in Ordnung!" Er hat es scheinbar eilig und verschwindet. Nur zum Schein holen wir noch einmal Wasser und tun so, als ob wir putzen. Bis zum Abendbrot müssen wir mit dieser sinnlosen Tätigkeit hinkommen. Am besten, es stellt sich noch jemand hin und fängt die Staubpartikel gleich noch in der Luft ab, da kann dann gar nichts mehr passieren! Als das erlösende "Kompaniiiieeee, raustreten!" ertönt, war noch keine neuerliche Zimmerkontrolle erfolgt, aber jeder Spind zum zehnten Mal gereinigt. Auf dem Gang beginnt wieder das gleiche Spiel. "Rechts um, im Laufschritt Marsch!", das Rennen durchs Treppenhaus, der finale Sprung und das obligatorische Marschieren. Diesmal geht es sogar ganz ohne Umweg direkt zum Speisesaal. Als ich an der Essensausgabe stehe, ist die Enttäuschung groß, als ich wieder das gleiche Essen wie am Vorabend sehe. Zwar sind die Brotscheiben nicht ganz so wellig, aber hauchdünn geschnitten. Dazu gibt es wieder die unappetitliche Wurst und auch die Butter wird kaum ausreichen, die Poren des Brotes zu füllen. Schnell setze ich mich und esse in absolutem Höchsttempo. Tatsächlich gelingt es mir die zwei Scheiben in den Mund zu schieben, bevor das unvermeidliche "Auf!" ertönt. Trotzdem fühlt es sich im Magen an, als ob ich noch nichts gegessen hätte. Auf dem Rückweg in die Unterkunft schaue ich wieder auf die Fenster der Kaserne. Man hat uns bereits erwartet und rollt aus Leibeskräften mit den Maßbändern. Ein wirklich schönes Hobby, denke ich, und bin mir sicher: Bald rolle auch ich dort oben, es ist alles eine Frage der Zeit! Als wir wieder im Gang stehen, fällt mir auf, dass sich der Kompaniechef Holzmann und die Zugführer zurückgezogen haben. Die Herrschaft haben jetzt die Unteroffiziere ganz allein. Ihr Befehlston ist dementsprechend rauer, da ja niemand mehr da ist, der sie kontrolliert. "Kommen wir nun zur Revierreinung" Unteroffizier Sturm hat das Wort: "Ich teile nun den einzelnen Soldaten die Reviere zu, dabei geht es bei der Verteilung so zu, dass jeder im Laufe der Zeit mit jedem Revier drankam, immer reihum, ganz gleichmäßig und gerecht. Wenn Sie denken, dass ihre Reviere fertig sind, so kommen Sie zu uns und melden Ihr Revier als fertig. Ob Sie wirklich fertig sind, bestimmen wir! Wenn Sie lange brauchen ist es Ihre eigene Schuld, denn das geht dann alles von Ihrer Freizeit ab! 22 Uhr ist auf jeden Fall Nachtruhe und das Licht ist aus! Die Reinigungsgeräte entnehmen Sie ihren Besenspinden!" Er verliest die Namen. Ich bekomme als Revier den Fernsehraum. Das klingt gut, klingt auf jeden Fall nicht nach all zu viel Schmutz! Leid tun mir diejenigen, die die Toiletten erwischt haben, aber eines Tages muss auch ich da mal ran. Mit Eimer, Besen und Bohnerkeule bewaffnet betrete ich den Fernsehraum. Noch fünf Kameraden stoßen dazu. Zu sechst diesen kleinen Raum zu säubern dürfte sicher kein Problem sein! Der Ablauf ist schließlich der gleiche wie in den Zimmern. Nur müssen Stühle und Tische hin und her geschoben werden. Auf den Gang stellen wäre sicher einfacher gewesen, aber auch dort ist ein großes Putzgeschwader schon am wirbeln. Ein paar mal schauen die Unteroffiziere zur Tür herein und prüfen mit kritischem Blick. Da aber offensichtlich jeder beschäftigt ist, gehen sie wieder, ohne einen Ton zu sagen. Die Reinigung dauert eine knappe Stunde, nur traut sich noch niemand die Fertigmeldung zu beantragen. Draußen im Gang klappern die Bohnerkeulen. Zehn Soldaten sind damit beschäftigt das farblose Wachs auf den Steinplatten zu polieren. Einer der Unteroffiziere krakeelt: "Ihr müsst viel mehr im Rhythmus bleiben! Passt auf, so geht das: Klick, klack, Tage- Sack! Klick, klack, Tage- Sack! Wisst ihr was ein Tage- Sack ist? Ihr seid alle Tage- Säcke, weil Ihr noch einen ganzen Sack voller zu dienender Tage mit euch herumschleppt!" Er lacht lauthals. Eine Bohnerkeule kracht gegen die Wand. Sofort springt er dazu: "Aha, wieder ein Kandidat der von vorn beginnen will, so bekommt Ihr nie Freizeit!" Als die Fertigmeldung unseres Fernsehraumes erfolgt, rückt sofort ein Kontrollausschuss aus Unteroffizieren an und prüft aufs Genaueste das Ergebnis. Nach einer halben Stunde Nacharbeit sind sie schließlich zufrieden. "OK, Ihr könnt jetzt auf Euere Zimmer gehen. Spätestens 22:00Uhr seid ihr bettfertig, das heißt ihr müsst bis dahin auch mit der Körperpflege fertig sein!" Wir eilen, unsere Putzartikel schleppend, über den Gang. Dort sind noch immer die Bohnerkeulenschwinger am Werk. Der dicke Maik ist auch dabei, er tut mir leid. Als Bohnerkeule im Schrank verstaut sind, habe ich endlich Gelegenheit mein Schreibzeug herauszuholen und nach Hause zu schreiben. Zuerst schreibe ich meinen Eltern. Ich muss mich beeilen. Es ist schon spät.
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Hallo Ihr Zuhause! 4.5.1989 Heute habe ich endlich mal Zeit zu schreiben. Leider ist es hier so, dass man gar nicht alles, b.z.w. fast gar nichts schreiben darf, von wegen Geheimsachen und so. Die Fahrt im Zug war grauenhaft und elend lang. Alles ging durcheinander. Von Greiz bis Gera lief es noch ganz gut. Aber von Gera nach Leipzig war schon alles knackevoll. In Gera selbst hatten wir 2h Aufenthalt, ebenso in Leipzig und auch in Cottbus ungefähr so viel, wo wir mit Verspätung (ungefähr 1 1/2 h) ankamen. erst um 23 Uhr lagen wir in den Betten und mussten (und müssen auch weiterhin) 5:15 Uhr aufstehen! Ich gähne schon den ganzen Tag! Auf dem Zimmer sind wir inzwischen 4 Mann. 6 Betten stehen darin und es geht soweit klar, nur die Ordnung in den Spinden ist ja Wahnsinn! Das Essen war heute sehr spärlich, naja vielleicht wird es noch...? Die Vereidigung ist am 13. Mai um 9:30 Uhr in Guben. Ihr bekommt noch Einladungen. Sollte mein Paket später kommen, als der Brief hier, so hat der Brief darin nichts mehr zu sagen. Bitte schickt mir so bald es möglich ist, weiße, lange Unterwäsche, schwarze oder graue (einfarbige) Strümpfe oder Socken, noch einmal Nähzeug (wenig), noch einmal Schuhputzzeug, einmal Rasierzeug (was Billiges, aber nass) und Waschzeug auch da irgendwas Kleines fürs Sturmgepäck. Soweit erst mal für Heute. Entschuldigt bitte Schrift, ich habe es sehr eilig. Tschüß Euer Andi! PS.: Erst mal Grüße an alle! |
| Der erste Brief ist geschrieben. Nun noch einen an Isabelle. Aus Zeitgründen schreibe ich fast das Gleiche wie meinen Eltern und füge schnell ein "Ich liebe Dich!" hinzu. Das muss fürs Erste genügen! Die Uhr zeigt bereits 21:30 Uhr. Schnell geht es in den Waschraum und das Waschritual nach entsprechender Wartezeit erledigt. Ich bin furchtbar müde, so müde wie sonst nie um die Zeit. Draußen brüllt ein Unteroffizier: "Ausbildungskompanie, fertig machen zur Nachtruhe! Licht aus!" Ich klettere in mein Bett. Am liebsten würde ich gleich schlafen, aber es wirbeln noch so viele Gedanken durch den Kopf! Den Kameraden geht es ähnlich. Wieder werden sämtliche Urlaubstheorien in den Raum gestellt. Der Kamerad unter mir wird übermütig. "Kommt, wir machen Hüpferfliegen!" Er tritt von unten an Bett, so dass es mich auf und nieder wirft. Meine Aufforderungen, dies sein zu lassen, ignoriert er. Also lasse ich ihm seinen Spaß. Nach einiger Zeit ist er so geschafft, dass er von selbst aufgibt. Noch einmal denke ich an Isabelle, an meine Eltern und meine Geschwister, dann schlafe ich voller Erschöpfung ein. Der zweite Tag ist geschafft! Kein wirklicher Trost! Wer weiß was morgen wieder los sein wird?
Fortsetzung folgt!
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