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Sandmeer, Kiefernmeer, nichts mehr

 - von einem Irchwitzer, der auszog sein sozialistisches Heimatland verteidigen zu müssen -

 

Kapitel 6 – Marschieren!

Es ist herrlich! Isabelle und ich schlendern durch Greiz. Die Sonne scheint. Ein paar Vögel zwitschern. Es ist immer schön so gemütlich durch den Greizer Park zu spazieren wenn man Zeit hat und die Sonne scheint. Heute Abend werden wir noch in die "Brücke" zur Disko gehen. Oder gehen wir wieder nach Görschnitz? Egal, da brauchen wir jetzt erst einmal nicht darüber nachzudenken! Wir genießen lieber das schöne Wetter und die Tatsache, zusammen zu sein. Einfach traumhaft - diese Ruhe…! Warum stört jetzt so ein unangenehmer Zeitgenosse mit seiner Trillerpfeife die himmlische Situation? Jetzt brüllt er auch noch! Ich kann ihn nicht richtig verstehen! Oh wie das nervt! Pitschnass geschwitzt schrecke ich hoch. Ein Albtraum! Wo bin ich? Die Tür wird aufgerissen. Helles Licht dringt herein. Die Trillerpfeife verrichtet ihren Dienst unentwegt weiter. "Ausbildungskompaniiiieeee, fertigmachen zum Frühsport!" Langsam begreife ich, dass ich vorher geträumt hatte. Der Albtraum hier ist im Gegensatz dazu reine Realität! Ein Unteroffizier kommt ins Zimmer. "Los raus hier, ihr faulen Säcke! Frühsport!" Ich taumele aus dem Bett. Das kann doch nicht wahr sein! Wenn der Morgen schon so beginnt...! Im Zimmer beginnt wieder das unkontrollierte Herumrennen. Jeder versucht schnellstmöglich an seine Sachen zu gelangen. Raus aus dem Schlafanzug und hinein in die weiße, naja fast weiße, langärmlige Feinrippunterwäsche. Ich hasse sie jetzt schon. Wie kann man einem Mensch solch eine Bekleidung zumuten? Dagegen wirkt vergleichsweise die Einstrich- Kein- Strich Dienstuniform regelrecht erotisch! Während ich in die Uniformhose schlüpfe, starre ich auf das Gitterbett und auf die blau- weiß karierte Bettwäsche. Wie im Knast! Ich habe zwar noch keinen von innen gesehen, aber genau so muss es da sein! Langsam beginne ich wieder mit meinem Schicksal zu hadern. Wie lange werde ich wohl brauchen, um mich an diese Situation zu gewöhnen? Eineinhalb Jahre lang jeden Morgen so aufstehen? Unvorstellbar! Schon wieder kommt einer der Unteroffiziere ins Zimmer und treibt an. "Los raus jetzt!" Ich schmeiße mir noch die Uniformjacke über und knöpfe sie beim Hinausrennen zu. Diese Hektik! Draußen stehen schon einige im Gang. Noch immer die Knöpfe schließend stelle ich mich hinzu. Wie aus dem Ei gepellt steht Oberstleutnant Holzmann vor uns. Hat er heute Nacht überhaupt geschlafen, oder ist er gleich so, wie er vor uns steht,hier geblieben? Überhaupt - ist nicht eigentlich noch immer Nacht? Sehr viel Zeit zum Schlafen war ja nun wirklich nicht und es ist auch immer noch duster draußen. Inzwischen sind auch die letzten auf dem Gang erschienen. Die Unteroffiziere schauen noch einmal die Zimmer durch, ob sich nicht irgendwo jemand auf den Zimmern versteckt. Wie sollte man sich verstecken? Es wird doch ständig Anwesenheitskontrolle gemacht. Wenigstens können die Unteroffiziere wichtig tun, sicher auch das Einzige, was sie beherrschen! Der Oberleutnant erzählt irgendetwas von der Wichtigkeit des Frühsports und der allgemeinen Körperertüchtigung der NVA- Soldaten. Wenn ich vor dem Mann nicht derartig Respekt hätte, ich würde auf der Stelle einschlafen! "Kompaniiiie, Stillgestanden! Rechts um! Im Laufschritt marsch!!!" wieder geht es halb rennend, halb springend die Treppen hinunter. Ein Sprung über die letzte Stufe und wir stehen an der frischen Morgenluft. Obwohl, zum Stehen bleiben kommen wir gar nicht und rennen weiter um den Block. Hinter dem Kasernenneubau befindet sich eine Art Sportplatz mit Kletterstangen und Seilen, eine Eskaladierwand, einem Volleyballnetz und diversen kleineren merkwürdigen Sportgeräten. Dort lassen uns die Zugführer im Kreis aufstellen. In der Dienstuniform, ohne Koppel, sehen irgendwie alle aus wie Kartoffelsäcke mit schwarzen Stiefeln. Einige schnaufen schon von den paar Metern rennen! Die Zugführer lassen uns ein paar Erwärmungsübungen machen. Sieht komisch aus, strengt aber zum Glück nicht so an! Langsam komme ich trotzdem ins Schwitzen. Nun geht es an die Kletterstange. Verdammt lange her, dass ich da zum letzten Mal da oben war, aber es geht halbwegs. Mit den Stiefeln ist es zwar etwas ungewohnt, aber nicht gänzlich unmöglich. Einige, besonders die dickeren Leidensgenossen hängen an den Stangen wie nasse Säcke. Die Unteroffiziere und die Zugführer brüllen sie an. Natürlich brüllen die Unteroffiziere am lautesten, so wie es zu erwarten war. Durch das Brüllen wird aber niemand besser und so lassen sie es dann doch einfach gut sein. Nun müssen wir noch über die Eskaladierwand. Gar nicht mein Ding! Also Anlauf, Bein drüber und Körper nachziehen. Tatsächlich komme ich drauf und mühsam drüber. Haltungsnote wäre sicher eine Fünf! Aber egal, Hauptsache geschafft, Hauptsache nicht aufgefallen! Andere tun sich wesentlich schwerer, einige bleiben vor der Wand sogar einfach irritiert stehen. Manche hängen dran und scheinen auf das Wunder zu warten, dass ein milder Frühlingswind sie drüber trägt. Statt des Frühlingswindes ertönen nur die dummen Kommentare der Unteroffiziere, welche ich langsam zu hassen beginne. Die Zugführer schütteln mit den Köpfen nur der Holzmann schaut mit beinahe unbeweglicher Mine zu und sagt erst einmal gar nichts.
Weiter hinten im Wald liegt ein kleiner Sportplatz mit Aschebahn verborgen. Dort hin geht es nun im Laufschritt. "Drei Runden!" befehlen die Zugführer "Dann geht es auf die Zimmer, Waschzeug fassen und Morgentoilette!" Unwillig beginnt die Kompanie zu rennen. Man bemerkt, dass es offensichtlich nicht um Geschwindigkeit geht und einige bereits fix und fertig sind. Laufen ist genau mein Ding! Im Sportunterricht habe ich die Langstrecken am liebsten gemocht. Hier lasse ich es trotzdem langsam angehen, ja nicht zeigen was man kann! Das Laufen mit den Stiefeln ist ungewohnt. Wofür haben wir überhaupt die schicken braunen Trainingsanzüge mit den rot- gelben Streifen bekommen, wenn wir in der Dienstuniform rennen? Während ich in Schneckentempo im Mittelfeld laufe, betrachte ich die Gegend und den Wald. Eine Monokultur aus Kiefern. Nur am Rand wachsen wild ein paar Birken.Sonst sieht hier alles gleich aus.
Insgesamt war das sportliche Programm nicht so schlimm wie ich es erwartet hatte. Zuhause hatte ich schon viel von den Grausamkeiten der NVA gehört, aber das kommt bestimmt noch! Die drei Runden sind schnell gelaufen und es geht auch im Laufschritt zurück. Vorbei an dem Wald und den Kletterstangen. Erst jetzt bemerke ich die Schnapsflaschen, welche überall unter den Fenstern der Kaserne auf der Wiese liegen. Mir war schon klar, dass bei der NVA ordentlich gesoffen wird, aber so offensichtlich? Zwei Soldaten sammeln mit je zwei Eimern in der Hand, die Flaschen ein. Ich kann es kaum fassen. Offiziere sehen und ignorieren es, höchstwahrscheinlich haben sie sogar die Anweisung zum Einsammeln gegeben. Unglaublich! Im Augenblick ist es völlig unverständlich für mich. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt mir sowieso nicht, denn es geht im Laufschritt die Treppen hinauf. Vom Gang aus dann direkt in die Zimmer, wo wir das Waschzeug aufnehmen. Alles muss schnell gehen, für nichts ist wirklich Zeit. Im Spind sehe ich das Paket mit meinen Zivilsachen. Es sollte eigentlich ganz schnell gepackt und sofort nach Hause geschickt werden. Nun liegt es unbeachtet im Spind. Auf die Schnelle habe ich noch einen Brief, der eher einem Zettel gleichkommt hinzugelegt:

       

                               Hallo Ihr Zuhause!                 3.5. 22 00 Uhr

Da ich kaum Zeit habe, will ich nun mal ganz schnell schreiben. Wir sind hier ungefähr 17 30 Uhr angekommen und hatten arge Hektik. Inzwischen sind wir „eingekleidet“ und haben die Schränke eingeräumt (mehr im nächsten Brief) Dies sind die Zivilsachen, die ich zurückschicke, den Rest (Unterhose + Socken) bringe ich beim ersten Urlaub mit. Ich bin mit noch 2Mann auf einem Zimmer, es stehen aber 6 Betten drin. Sonst kann ich noch gar nicht viel schreiben, da noch nicht viel passiert ist.

Tschüß bis bald
Andreas

      

Ich greife nach meinem Waschzeug. Draußen brüllen die Unteroffiziere. Ich könnte ihnen an die Gurgel gehen! Diese Wichtigtuer! Auf dem Gang angekommen, treiben sie uns in den Waschraum. Das schnelle Rennen in den Waschtempel war natürlich wieder zwecklos, da schon wieder alle Waschtröge belegt sind. Durch die Luft schwirren Nebelschwaden. Wenigstens gibt es warmes Wasser! Das Waschen mit "Publikumsverkehr" bereitet mir wirklich Schwierigkeiten. Zusammen mit halbnackten und nackten Männern zu stehen, ist wahrlich keine Freude! Aber was soll es, ich habe ja keine Wahl! Vielleicht gewöhne ich mich noch daran, vorstellen kann ich mir das bisher aber nicht. Während ich auf den eigenen "Waschgang" warte, sehe ich wie andere mit der peinlichen Situation klarkommen. Manche ziehen sich ohne Skrupeleinfach komplett aus und frönen der fröhlichen Waschkunst. Die Mehrheit hingegen zieht das heimliche Waschen vor. Die Kunst dabei ist es, so viel wie möglich schützende Kleidung am Körper zu behalten und doch an jede Stelle mit dem Waschlappen zu gelangen. Gar nicht so einfach, die intimsten Stellen des Körpers zu reinigen und dabei die Hose anzulassen! Allerdings sind die tarnfarbenen Dienstuniformhosen sehr weit gehalten und selbst bei dickleibigen Leidensgenossen ohne Hosenträger kaum zu halten.
Als ich endlich am Waschtrog stehe kommt mir das Reinigungsritual trotzdem einem Spießrutenlauf gleich. Obwohl jeder möglichst neutral auf Fliesen, Wand oder weiß getünchte Fenster zu starren versucht, hat man das ständige Gefühl beobachtet zu werden.
Meine Zähne bekommen eine besonders gründliche Reinigung. Das haben sie auch verdient, schließlich habe ich mich vor Antritt des anderthalb- jährigen "Zwangsurlaubes" intensiv in die Höhle des Löwen begeben und alles noch einmal in Ordnung bringen lassen. Ein ganz junger Zahnarzt, gerade erst mit dem Studium fertig, hatte mir an der Greizer Poliklinik alle Amalgam- Füllungen durch Neue ersetzt, nachdem ich ihm von meinem zukünftigen Dienst bei der NVA berichtet hatte. Er wusste, dass Zahnärzte im Dienste der NVA eher Tierärzten glichen und zur Herstellung der schnellen Gefechtsbereitschaft der Soldaten, die Zange gegenüber dem Bohrer bevorzugen. Nein, Zähne verlieren wollte ich nicht, dann doch lieber Komplettbehandlung!
Nun bin ich stolz auf mein frisch saniertes Gebiss und verwöhne es mit einer Extraportion "Rot- Weiß- Zahnpasta“.
Zurück aufs Zimmer gehe ich wieder im Laufschritt, damit sich Unteroffiziere und Zugführer freuen können und ich meine Ruhe habe. Schon etwas gelernt! Kaum habe ich meinen Waschbeutel im Spind versenkt, ruft es draußen im Gang schon wieder zum Raustreten. Hauptsache keine Sekunde Ruhe! Das Ritual des Antretens und Abmarschierens ist wieder das Gleiche und selbstverständlich wird wieder im Laufschritt durchs Treppenhaus gejagt. Der finale Sprung beendete den Spurt, abgelöst vom selbstverständlichen Stoppen und Antreten vor der Tür. Frühstück fassen ist angesagt und ich bin gespannt wie mein erstes Frühstück in Unfreiheit wohl schmecken wird. Vor allem habe ich einen riesigen Hunger, nachdem das Abendbrot gestern so unheimlich mager ausgefallen war. Solch ein Hungergefühl hatte ich bisher nicht gekannt. Hoffentlich gibt es diesmal genug zu essen! Obwohl, die Menge wird wohl nicht so das Problem sein, eher die zur Verfügung stehende Zeit der Nahrungsaufnahme! "Im Gleichschritt...Marsch!" Wieder setzt sich der Zug in Bewegung. Das Verhaspeln und Ineinander stolpern verzögert den Weg zum Speiseraum deutlich. Man verspürt nach wie vor keine Bereitschaft, den Gleichschritt zu lernen. Gerade das scheint aber in dieser Armee von höchster Priorität zu sein. Umsonst wurde ich nicht vor Antritt meiner Dienstzeit gehänselt: "Oh, es geht zum VEB Gleichschritt?" Also wird geübt. "Links, zwo, drei..." Immer und immer wieder. Wenn man hier etwas hat, dann ist es Zeit! Ich bin froh wie noch nie, mich nicht länger verpflichtet zu haben! Wenn ich an die Unteroffiziere und Zugführer denke, dann habe ich es ja in absehbarer Zeit überstanden, auch wenn noch weit über 500 Tage zu überstehen sind. Die müssen doch allle noch viel länger bleiben! Diese Tatsache baut mich ein wenig auf. Sollen sie uns hier ruhig strietzen und marschieren lassen, irgendwann müssen die auch essen! Tatsächlich scheint das zusätzliche Marschierprogramm irgendwann den Tagesablauf zu sprengen und wir marschieren Richtung Speisesaal. Da die Anordnung in der Reihe immer noch alphabethisch geordnet ist, komme ich selbstverständlich wieder ganz hinten ran. Ein Grund mehr meine bisher gewohnte Geschwindigkeit bei der Nahrungsaufnahme zu beschleunigen. An der Essensausgabe riecht es verführerisch. Früher hätte ich das wohl abfällig als "Kantinengestank" bezeichnet. Wenn man jedoch Hunger hat, sieht man das plötzlich mit anderen Augen, oder besser: riecht es mit anderer Nase! Ich könnte im Augenblick alles Verschlingen! Endlich bin ich dran. Auf meinem Teller landen zwei kleine Brötchen, ein winziges Stückchen Butter, ein Klecks Marmelade und die Wurst, welche schon gestern abend so grau und unappetitlich wirkte. Aus dem grünen Behälter ergießt sich wieder der undefinierbare Tee in die Plastiktassen. Er ist heiß und ein wenig gezuckert. Kaffee wäre mir eindeutig lieber! Davon kann ich aber wohl in der nächsten Zeit nur träumen! In Rekordzeit schneide ich das erste Brötchen auf, schmiere eine winzige Ecke Butter drauf und lege die Wurst dazu. Ich beiße hinein. Endlich etwas im Magen! Während ich hastig kaue und hinunterschlinge, schmiere ich die zweite Hälfte des Brötchens. Beim Hineinbeißen höre ich das durchdringende, albtraumartige "Auf!" Ich kann es nicht fassen! Gerade hatte ich mich doch erst gesetzt! Schnell schlinge ich noch ein Stück Wurst hinunter und während ich aufstehe, stecke ich mir noch schnell das zweite Brötchen in die Hosentasche. Schon lange vorher hatte ich mir das so vorgenommen. Sollte es wieder so schnell gehen, nehme ich einfach etwas mit und esse es später. Ich bin doch schließlich nicht dumm und verhungern will ich gleich gar nicht! Schnell schaffe ich das Geschirr zurück, nur die Marmelade muss in den Abfall. Traurig schaue ich zu, wie die wertvollen Kohlehydrate im Abfalleimer landen. Schnell nehme ich noch einen Schluck Tee, wer weiß wann es das nächste Mal etwas zu trinken gibt! Ein unbekannter Leidensgenosse spricht mich an: "Trink lieber nicht so viel von dem Zeug, das macht nämlich impotent!" Er grinst und geht hinaus. Dass der Tee die Männlichkeit reduzieren soll, habe ich vorher schon gehört, allerdings hatte ich mir darüber keine tief greifenden Gedanken gemacht. Was soll ich hier auch mit Potenz? Egal, viel Zeit zum Nachdenken habe ich sowieso nicht, denn ich muss hier raus, schnell antreten. Die Unteroffiziere und Zugführer warten bereits ungeduldig. Das Brüllen ist kaum zu überhören, auch wenn man sich scheinbar langsam daran gewöhnt. Als alle angetreten sind, hält einer der Unteroffiziere eine kurze Rede. Sein Name ist Sturm, Unteroffizier Sturm. Ein unangenehmer Mensch, kaum älter als ich. Er hält sich augenscheinlich für unheimlich wichtig. Bei mir denke ich: "Ich bin bisher mit unserem Irchwitzer Sturm locker zurechtgekommen, da kannst Du Windbeutel doch gar nicht mithalten!" In Gedanken ist man stark! In Wirklichkeit aber selbst solch einem merkwürdigen Wicht ausgesetzt! Er redet über die Hygiene des Soldaten. Gerade Lebensmittel wären davon besonders betroffen, weswegen Lebensmittel auch nicht mit auf die Zimmer gebracht werden dürfen! Ich denke an das Brötchen in meiner Tasche. "Das Brötchen mitzunehmen ist eine Art Notwehr!" versuche ich mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht befiehlt er: "Taschenkontrolle!" "Alle illegal mitgenommenen Lebensmittel werden konfisziert!" Als es unter den Soldaten unruhig wird, sagt er: "Ich rede hier von einem Befehl, nicht von einer Bitte!" Zwei Soldaten müssen eine Kiste holen und gehen die Reihe entlang. Alle Soldaten müssen ihre Taschen nach außen stülpen. Fast jeder hat etwas dabei. Unwillig werden die Brötchen in die Kiste geschmissen. Unteroffizier Sturm steht daneben und grinst. Ich sehe in sein pickliges Gesicht und habe plötzlich ein Feindbild! Wenn ich ihn in die Finger bekommen könnte, ich würde sonst etwas mit ihm machen. Leider ist das reine Wunschdenken! Als ich die Semmel in die Kiste schmeiße, ist mir nach Weinen zumute.
Mein Magen fühlt sich an, als hätte ich noch gar nichts gegessen.Fast noch schlimmer als der Hunger ist die Wut, die in mir hochkocht. Das können die mit uns doch nicht machen! Doch - sie können. Außerdem haben sie noch eine ganze Menge Spaß dabei! Es wird wieder angetreten.Der zweite Teil des Marschierlehrgangs beginnt. Mir ist es völlig egal. Mit leerem Bauch kann man nicht marschieren, also verhaspele ich mich einfach absichtlich. Scheinbar bin ich nicht der Einzige, der mit dieser Masche versucht Protest anzumelden, denn die gesamte Kompanie entspricht einem stolpernden Trauerzug. Kein Wunder, für entsprechende Motivation wurde ja ausreichend gesorgt! Die Zugführer haben es satt. Sie lassen die Kompanie stillstehen und holen sich die vermeintlich schlimmsten Querulanten aus der Reihe. Ich bin nicht dabei, verdient hätte ich es allerdings schon. Zehn Soldaten stehen nun vor der Truppe. Sie scheinen sich das Lachen zu verdrücken. Zum Lachen scheint es den Zugführen und den Unteroffizieren aber nicht zumute zu sein. Man sieht es ihnen an, sie werden jetzt an denen ein Exempel statuieren. "Runter, in den Liegestütz" brüllt ein Unteroffizier. Verunsichert gehen die 10 Querulanten zu Boden. "30 Liegestütze!" Sie beginnen langsam mit der unfreiwilligen sportlichen Ertüchtigung. " ...und eins...und zwei...und drei...!" Die Meisten sind jetzt schon ziemlich fertig. Die sportlichste Truppe ist hier tatsächlich nicht am Werk, soviel ist eindeutig zu erkennen. Nach 15 Liegestützen klappen die ersten zusammen und bleiben mit knallrotem Kopf am Boden liegen. Die Unteroffiziere brüllen ihnen Beleidigungen entgegen, die Zugführer halten sich etwas zurück. Es ist gut zu erkennen, dass die Unteroffiziere für sie die "Drecksarbeit" erledigen. Keiner schafft die 30 Liegestütze, genau wie es zu erwarten war. Zur Strafe gibt es noch ein paar Kniebeugen. Vor der Truppe wirkt das absolut lächerlich, aber zum Lachen scheint niemandem mehr zumute zu sein. Als die zehn "Opfer" zurück in die Reihe treten dürfen, ist die Sache allerdings längst nicht ausgestanden. Jetzt muss die gesamte Ausbildungskompanie in den Liegestütz. "15 Liegestütze für Alle!" Diesmal brüllt einer der Zugführer. Technisch gesehen völlig chaotisch, werden die Liegestütze abgearbeitet. Diejenigen, die vorher schon durften, brechen ganz schnell zusammen. Mir fällt es zum Glück nicht ganz so schwer, da ich glücklicherweise mit meinen 62 Kilogramm Körpergewicht nicht ganz soviel stemmen muss. "Zur Auflockerung noch ein paar Kniebeuge!" Oh wie einfallsreich!
Als der Zug sich wieder marschierend in Bewegung setzt, ist es völlig still, nur das Knirschen der Stiefel ist zu vernehmen. Das Marschieren geht plötzlich wie von allein. Kaum einer traut sich aus dem Tritt zu geraten. Dieser Punkt ging eindeutig an die Ausbilder! Sie haben rein pädagogisch die erste kleine Schlacht gewonnen. Es wird wohl nicht die Letzte sein!

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Kommentare (2)
Andreas Wagner aus Irchwitz schrieb: (2011-04-15 21:47:15)
@ Katja: Natürlich möchte ich Ihre Heimatgefühle nicht verletzen! Sicher überwiegen in meinem "Roman" die negativen Aspekte über die Gegend in die ich unfreiwilliger Weise geriet. Ich beschreibe hier nur die Gefühle, welche ich als 19jähriger in einer unschönen Situation erlebte. Übrigens habe ich schon 2x ganz in der Nähe Urlaub gemacht! Tropical Islands hinzugerechnet sogar 6x! Ich muss die Geschichte aber auch so schreiben wie ich es damals wirklich erlebte. Da kann ich nicht vom heutigen Stand der Dinge ausgehen. Gruß nach Brandenburg!
Katja Schmied aus Berlin schrieb: (2011-04-15 21:27:55)
Der brandenburgische Himmel ist sehr schön, besonders der über Jänschwalde Ost, denn dort ist meine Heimat die nicht nur aus Kiefern, Wiesen und NVA Erinnerungen besteht!